„Fake News“ als aktuelle Desinformation
Systematische Bestimmung eines heterogenen Begriffs
Spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-amerikanischen Präsidenten haben sogenannte „Fake News“ für eine lebhafte wissenschaftliche Debatte gesorgt. Im Mittelpunkt steht dabei unter anderem die potenzielle Gefahr für die kollektive Selbstbestimmung demokratischer Gesellschaften. Man muss jedoch konstatieren, dass die theoretische Beschäftigung mit dem Gegenstand hinter dessen empirischer Erforschung zurückbleibt. Bisherige Definitionen von „Fake News“ sind weder einheitlich noch widerspruchsfrei und werden zudem nicht nachvollziehbar entwickelt, sondern meist einfach gesetzt. Wir versuchen, dieses Theoriedefizit unter Rückgriff auf Literatur zu Desinformation, Lüge und (öffentlicher) Kommunikation zu überwinden. Dabei ersetzen wir den Begriff „Fake News“ durch den der „aktuellen Desinformation“ und erörtern systematisch, welche Bedingungen notwendig gegeben sein müssen, um von diesem Phänomen sprechen zu können. Schließlich definieren wir aktuelle Desinformation als Kommunikation wissentlich und empirisch falscher Informationen zu neuen und relevanten Sachverhalten mit dem Anspruch auf Wahrheit.
Schlüsselwörter: Fake News, Definition, aktuelle Desinformation, Lüge, Kommunikation, Aktualität, Wahrheitsanspruch, Unwahrheit, Unwahrhaftigkeit
1. Einleitung
Spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-amerikanischen Präsidenten haben sogenannte „Fake News“ für eine lebhafte wissenschaftliche Debatte gesorgt. Im Mittelpunkt steht dabei ihre Distribution über digitale und vor allem soziale Medien, die es jedem Akteur ermöglichen, Informationen zu aktuellen Themen und Ereignissen an potenziell unbegrenzte Publika zu verbreiten. Damit erleichtern sie auch die massenhafte Veröffentlichung falscher Tatsachenbehauptungen, was eine potenzielle Gefahr für die kollektive Selbstbestimmung demokratischer Gesellschaften darstellt. Online lancierte „Fake-News“-Kampagnen untergraben, so die Befürchtung, prinzipiell die Möglichkeit eines legitimen Meinungs- und Willensbildungsprozesses auf Basis korrekter Informationen. Gleichzeitig, so die weitergehende Annahme, stellen sie sogar die Faktizität als Grundlage demokratischer Prozesse überhaupt infrage. So wird etwa von einem „postfaktischen Zeitalter” gesprochen, „in which a large share of the populace is living in an epistemic space that has abandoned conventional criteria of evidence, internal consistency, and fact-seeking” (Lewandowsky, Ecker & Cook, 2017: 360; vgl. auch Corner, 2017; Harsin, 2018).
Man kann der Wissenschaft gewiss nicht den Vorwurf machen, nicht schnell auf diese Entwicklung reagiert zu haben: Mittlerweile gibt es schon einige empirische Studien zur Verbreitung von „Fake News“ und sogar zum potenziellen Einfluss auf politische Wahlen (z. B. Allcott & Gentzkow, 2017; Barrera Rodriguez, Guriev, Henry & Zhuravskaya, 2018; Fletcher, Cornia, Graves & Nielsen, 2018; Neudert, Kollanyi & Howard, 2017; Vargo, Guo & Amazeen, 2018). Gleichzeitig muss man jedoch konstatieren, dass die theoretische Beschäftigung mit „Fake News“ hinter deren empirischer Erforschung zurückbleibt. Dies zeigt sich schon daran, dass nicht einmal der Begriff selbst unstrittig ist.
Ursprünglich richtete sich der Fokus auf fingierte Informationsangebote im Internet, die sich explizit als Alternative zu den klassischen Nachrichtenmedien begreifen. Der Ausdruck wurde dann aber auch (analog zu „Lügenpresse“) insbesondere von Politikern strategisch eingesetzt, um ihnen unliebsame Informationen gerade dieser etablierten Medien zu diskreditieren. Egelhofer und Lecheler (2018: 2) unterscheiden dementsprechend zwischen „Fake News“ als Genre und „Fake News“ als Etikett. Ersteres beschreibt die vorsätzliche Herstellung pseudo-journalistischer Falschinformationen und letzteres die politische Instrumentalisierung des Begriffs, um die etablierten Nachrichtenmedien zu delegitimieren. Wir halten diese Differenzierung für sinnvoll, sprechen uns aber dafür aus, die Bezeichnung „Fake News“ auf die strategische Etikettierung zu beschränken (vgl. auch Vosoughi, Roy & Aral 2018; Wardle & Derakhshan, 2017).
Für die Bezeichnung des Genres plädieren wir dagegen in den folgenden Ausführungen für den Begriff der aktuellen Desinformation, um das zur Debatte stehende Phänomen an die Literatur zur Desinformation anzubinden und explizit als deren Subkategorie auszuweisen. Unser Ziel ist es, im Sinne von Chaffee (1991) eine Explikation dieses Konzepts vorzulegen, um einen bislang eher intuitiv geprägten und zugleich ideologisch aufgeladenen Begriff wie „Fake News“ durch ein wissenschaftliches, valides Konstrukt zu ersetzen. Eine solche Explikation sollte jeder weiterführenden gesellschaftstheoretischen Erörterung vorausgehen. Zunächst zeigen wir in einem Überblick über die bisherige Literatur zu „Fake News“, dass gerade die begriffliche Schärfe der sehr knappen Definitionen noch zu wünschen übriglässt, nicht zuletzt, weil sie mehr oder weniger nur gesetzt werden (Kap. 2). Bisherige Systematisierungsversuche (Tandoc, Lim & Ling, 2018; Egelhofer & Lecheler, 2018) sind hilfreich, indem sie die Gemeinsamkeiten der bisherigen Definitionen identifizieren. Wenn sie daraus aber den Kern ihrer jeweils neuen Definition ableiten, importieren sie ungeklärte Aspekte der vorherigen Definitionen. Wir versuchen daher, anhand expliziter, theoretisch abgeleiteter Kriterien eine nachvollziehbare, operationale Definition von aktueller Desinformation zu entwickeln (Kap. 3).
2. Definitionen von „Fake News“
Schon ein erster Blick auf die mittlerweile recht umfangreiche Literatur zum Genre sogenannter „Fake News“ offenbart, dass der Begriff eine radikale Neubestimmung und zugleich Umbewertung erfahren hat: Noch bis vor Kurzem wurde darunter ausschließlich politische Nachrichtensatire oder Nachrichtenparodie verstanden (vgl. Baym & Jones, 2013) – Beispiele hierfür sind die „Daily Show“ in den USA, in Deutschland die „heute-show“ mit Oliver Welke oder aber satirische Webseiten wie „The Onion“ oder „Der Postillon“. Mit „Fake News“ als Nachrichtensatire wird eine kritisch-aufklärerische Funktion verbunden (Baym, 2005; Borden & Tew, 2007; Reilly, 2012). Diese positive Sichtweise wird in der Literatur seit 2017 schlagartig durch ein negatives Verständnis von „Fake News“ als im allgemeinsten Sinne (manipulativer) Falschinformation abgelöst; als Auslöser für diesen Umschwung wird gemeinhin die US-amerikanische Präsidentschaftswahl von 2016 angesehen. In zahlreichen Texten wird allerdings ein gemeinsames Begriffsverständnis stillschweigend vorausgesetzt, sodass die Bedeutung eher assoziativ erschlossen werden muss. Im Folgenden berücksichtigen wir daher nur Texte, die „Fake News“ mehr oder weniger explizit definieren.
Einigkeit besteht darüber, dass „Fake News“ durch die digitalen Kommunikationsformen, insbesondere die sogenannten sozialen Medien, an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen haben (Tandoc et al., 2018: 138–139). Nur die wenigsten Autoren ziehen daraus aber den Schluss, dass es sich hierbei um ein notwendiges Kriterium für die Definition von „Fake News“ handele. Neudert et al. (2017: 1) sprechen in ihrer Studie ausschließlich von „Fake News Websites“ (vgl. auch Fletcher et al., 2018). Während man hier wohl noch nicht von einem notwendigen Definitionskriterium sprechen kann, halten Klein und Wueller (2017: 6) die Online-Veröffentlichung explizit für ein Merkmal von „Fake News“. Bounegru, Gray, Venturini und Mauri (2018: 8) gehen sogar davon aus, dass es gerade die Zirkulation und Rezeption im Netz sind, die „Fake News“ ausmachen.
Ein weithin unstrittiges und zumeist auch explizit erwähntes Merkmal von „Fake News“ ist hingegen, dass es sich um Informationen handelt, die wie echte Nachrichten geschrieben sind (Horne & Adali, 2017: 1). Gemeint ist damit die Nachahmung journalistischer Formate (Rini, 2017: E-45; Levy, 2017: 20; Mustafaraj & Metaxas, 2017: 2; Nelson & Taneja, 2018; Tandoc et al., 2018: 138). Einige Autorinnen und Autoren1 ergänzen die Vorspiegelung einer pseudo-journalistischen Quelle, also eines scheinbar etablierten Mediums, um journalistische Glaubwürdigkeit zu reklamieren (Egelhofer & Lecheler, 2018: 10–11; Gelfert, 2018: 101).
Nicht ganz so eindeutig verhält es sich bei der Frage, ob diese Informationen empirisch falsch sein müssen, um als „Fake News“ zu gelten. Hier gibt es zwei Fraktionen: Die am häufigsten zitierte Begriffsbestimmung von Allcott und Gentzkow (2017) definiert „‘Fake News‘ to be news articles that are intentionally and verifiably false [Hvhg. d. Verf.], and could mislead readers“ (S. 213; vgl. auch Levy, 2017: 20; Wardle & Derakhshan, 2017: 20). Während empirische Falschheit hier ein notwendiges Definitionskriterium darstellt, definieren andere Autoren „Fake News“ „as either wholly false or [Hvhg. d. Verf.] containing deliberately misleading elements“ (Bakir & McStay, 2017: 154; vgl. auch Dentith, 2017: 66; Marwick & Lewis, 2017: 44). Hier bleibt allerdings offen, was genau „misleading“ bzw. „irreführend“ im Gegensatz zu „falsch“ bezeichnet. Wenn es sich nicht nur um ein Synonym handelt, könnten auch „Halbwahrheiten“ oder allein durch ihre Einseitigkeit irreführende Aussagen gemeint sein. Demzufolge müssten „Fake News“ also nicht notwendigerweise empirisch falsch sein. Eine dritte Option bieten die beiden Texte, die aus den bisherigen Definitionen eine übergreifende Definition abzuleiten versuchen: Sowohl Tandoc et al. (2018: 147) als auch Egelhofer und Lecheler (2018: 9) gehen von Faktizität als einem Kontinuum aus und unterscheiden zwischen hoher und niedriger Faktizität. Das schließt zwar auch mit ein, dass „Fake News“ ganz ohne Faktenbasis, also falsch sind, macht empirische Falschheit aber nicht zu einem notwendigen Kriterium von „Fake News“.
Ein weiteres, fast durchweg genanntes Kriterium ist, dass „Fake News“ intentional bzw. wissentlich falsch oder irreführend sind, also nicht auf einem Versehen beruhen. Allerdings wird dies nicht immer so eindeutig formuliert wie in der oben zitierten Definition von Allcott und Gentzkow (2017). Bisweilen ist das Kriterium daraus zu erschließen, dass von falschen Informationen die Rede ist, die mit Absicht als echte Nachrichten formatiert werden (Levy, 2017: 20; Shin, Jian, Driscoll & Bar, 2018: 278). Des Öfteren werden falsche oder irreführende Informationen auch als Lüge bezeichnet, was das Wissen des Urhebers um deren Falschheit impliziert (Dentith, 2017: 66; Mustafaraj & Metaxas, 2017: 2), zugleich aber auch die Frage aufwirft, ob „Fake News“ tatsächlich mit Lügen gleichzusetzen sind. Schließlich kann das Wissen des Urhebers um die Falschheit der mitgeteilten Informationen aus Formulierungen abgeleitet werden, die „Fake News“ eine Täuschungsabsicht zuschreiben und die Täuschung explizit auf den Wahrheitsgehalt der Information beziehen. („intention to deceive, making the reader to believe it is correct“; Horne & Adali, 2017: 1; vgl. auch Rini, 2017: E-44).
Die Täuschungsabsicht selbst gilt allerdings nicht als ein unstrittiges Kriterium. So verweisen Allcott und Gentzkow (2017: 213) auf eine lediglich potenzielle Irreführung; hingegen sprechen etliche Autoren explizit von „intentional deception“ (Rini, 2017: E-44) oder einer „intention to deceive” (Horne & Adali, 2017: 1) als einem notwendigen Definitionskriterium für „Fake News“ (Dentith, 2017: 66; Jankowski, 2018: 248; Egelhofer & Lecheler, 2018: 7; Tandoc et al. 2018: 147). Andere Autoren betonen die politischen oder finanziellen Motive von „Fake-News“-Produzenten (Allcott & Gentzkow, 2017: 217; Levy, 2017: 20; McNair, 2018: 38; Nelson & Taneja, 2018; Neudert et al., 2017: 1; Tandoc et al., 2018: 138). Diese Motive sollten aber nicht ohne Weiteres mit einer Täuschungsabsicht gleichgesetzt werden, wenngleich es auch auf den ersten Blick kontraintuitiv erscheinen mag, dass jemand wissentlich falsche Nachrichten verbreitet, ohne damit zugleich eine Täuschungsabsicht zu verbinden. Dies hält Rini (2017) allerdings für möglich: „Deception is not always the primary goal of ‘Fake News’. Often the motive is financial rather than epistemic“ (S. E-44; vgl. auch Gelfert, 2018: 102).
Die meisten Definitionen bestimmen „Fake News“ anhand von Textmerkmalen und über Autorintentionen. Das Publikum erscheint hierbei als potenziell täuschbares oder manipulierbares Objekt. Einige wenige Texte beziehen die Rezeption des Publikums aber auch in die Definition mit ein. Allcott und Gentzkow (2017: 213) zum Beispiel erläutern, dass „Fake News“ auch dadurch bestimmt seien, dass sie Leser irreführen könnten. Man könnte daraus schließen, dass aus Sicht dieser Autoren nicht jede wissentlich verbreitete falsche Information dazu in der Lage ist. In ähnlicher Weise sprechen Mustafaraj und Metaxas (2017: 2) davon, dass ein Rezipient sie für seriöse Nachrichten halten könnte. Hier stellt sich allerdings die Frage, inwiefern es sich nur um eine wahrscheinliche Folge oder tatsächlich um ein notwendiges Definitionskriterium von „Fake News“ handelt. Tandoc et al. (2018) dagegen bezeichnen die Rolle des Publikums explizit als ein entscheidendes Kriterium. Laut diesen Autoren ist die Bezeichnung „Fake News“ ein sogenannter Erfolgsbegriff oder „success term“; d. h. die tatsächlich erfolgte Täuschung des Publikums stellt eine notwendige Bedingung für die Definition dar:
„Without this complete process of deception, ‘Fake News‘ remains a work of fiction“ (S. 148). In ähnlicher Weise argumentiert Gelfert (2018: 103), der nur Behauptungen als
„Fake News“ in Betracht zieht, die tatsächlich eine relevante Anzahl von Rezipienten in die Irre führen.
Der Überblick über die Definitionen von „Fake News“ führt uns zu zwei generellen Beobachtungen: Zum Ersten sind die Definitionen im Vergleich untereinander weder einheitlich – d. h. sie bemühen unterschiedliche und unterschiedlich viele Kriterien –, noch sind sie widerspruchsfrei, d. h. sie benennen einander widersprechende Kriterien. Zwei Definitionskriterien sind in der Literatur weitgehend anerkannt:
- Die Produktion von falschen oder potenziell irreführenden Informationen geschieht intentional bzw. wissentlich.
- Diese Informationen werden als „echte“ Nachrichten formatiert.
Bei den folgenden Punkten ist dagegen keine Übereinkunft darüber ersichtlich, ob es sich um notwendige (immer zutreffende) Kriterien für die Bestimmung von „Fake News“ handelt:
1. Sind „Fake News“ immer ein reines Internet- bzw. Online-Phänomen?
2. Sind „Fake News“ empirisch immer falsch?
3. Sind „Fake News“ immer mit einer Täuschungsabsicht verknüpft?
4. Setzt die Bestimmung einer Nachricht als „Fake News“ immer eine erfolgte Täuschung der Rezipienten voraus?
Zum Zweiten werden die Definitionen nicht nachvollziehbar entwickelt, sondern – bis auf seltene Ausnahmen – nur gesetzt. Die Ausnahmen betreffen vor allem Versuche, das Gesamt der bisherigen Begriffsverständnisse zu systematisieren und daraus das Gemeinsame gewissermaßen zu destillieren (Tandoc et al., 2018; Egelhofer & Lecheler, 2018).
Während der erste Aspekt mit zum wissenschaftlichen Streit um angemessene Definitionen gehört – Uneinigkeit ist kein Manko, sondern ermöglicht erst eine fruchtbare Auseinandersetzung –, erschwert der zweite Aspekt, dass dieser wissenschaftliche Streit überhaupt stattfinden kann: Weder lässt sich die Angemessenheit einer bestimmten gesetzten (oder „destillierten“) Definition beurteilen, noch ist es möglich, anhand einer Diskussion der herangezogenen Kriterien alle Definitionen vergleichend zu bewerten. Damit ist ein Theoriedefizit benannt, das nicht nur Konsequenzen für unser Verständnis des Phänomens „Fake News“ und dessen möglicher Verbindung (oder Gleichsetzung) mit anderen Phänomenen der öffentlichen Kommunikation hat (wie z. B. Desinformation, Gerüchten oder Lügen), sondern auch beeinflusst, was wir diesbezüglich empirisch überhaupt in den Blick nehmen (können). Nicht zuletzt gefährdet dieses Theorie- defizit auch die gesellschafts- und im Besonderen demokratietheoretische Beurteilung dieses Phänomens.
3. Definitionskriterien aktueller Desinformation
Im Anschluss an die Diskussion der Literatur zu „Fake News“ entwickeln wir im Folgenden eine eigene theoretisch angeleitete Begriffsdefinition (vgl. Chaffee, 1991). Viele der oben genannten Autoren verstehen „Fake News“ implizit, teilweise auch explizit als „species of disinformation“ (Gelfert, 2018: 103; vgl. auch Marwick & Lewis, 2017: 44; Wardle & Derakhshan, 2017: 20). Auch wir bestimmen das Phänomen als Subkategorie von Desinformation. Schon aus Gründen der theoretischen Präzision sollte der Terminus „Fake News“ durch einen Ausdruck ersetzt werden, der diese Anbindung eindeutig signalisiert. Wir schlagen hierzu den Begriff aktuelle Desinformation vor, den wir im Folgenden anhand expliziter Kriterien systematisch erörtern werden (siehe Abbildung 1). Chaffee (1991) empfiehlt, sich dabei auch auf verwandte Konzepte aus fachfremder Forschungsliteratur zu beziehen. Neben den Eigenschaften der Desinformation orientieren wir uns auch an denen der Lüge und ziehen insbesondere die philosophische und informationswissenschaftliche Literatur zu diesen Themenkomplexen heran. Dabei zeigen wir aber auch auf, in welchen Punkten sich die beiden Konzepte voneinander unterscheiden. Gleichzeitig werden wir diese Forschungstraditionen kommunikationswissenschaftlich einbetten, um so die öffentlichkeitstheoretische Spezifik von aktueller Desinformation zu verdeutlichen.
3.1 Kommunikation
Desinformation richtet sich als soziale Handlung an mindestens einen anderen Akteur und stellt mithin, wie auch die Lüge, eine Form der Kommunikation dar (Liessmann, 2010: 127; Thummes, 2013: 104). Nimmt man diese Prämisse ernst, ergeben sich daraus folgende Einsichten:
Abbildung 1: Definitionskriterien aktueller Desinformation
Zunächst sollte man festhalten, dass Desinformation und Lüge auf Mitteilungen beruhen. Nicht-kommunikative Formen der Irreführung, wie die Geheimhaltung, also das bloße Zurückhalten bestimmter Informationen, sind daher nicht gemeint (Thummes, 2013: 42).2 Die Mitteilung ist wiederum von der durch sie vermittelten Information, also ihrem Bedeutungsinhalt, zu unterscheiden. Im Kontext der Desinformation stehen wahrheitsfähige Mitteilungen mit repräsentationalem Gehalt im Vordergrund.3 Diese bilden einen Wirklichkeitsausschnitt in einer bestimmten Art und Weise ab. Beispielsweise repräsentiert die Mitteilung „Die Katze sitzt auf der Matte“, dass sich die Katze tatsächlich auf der Matte befindet. Die mitgeteilte Information, nicht die Mitteilung selbst, kann empirisch sowohl wahr als auch falsch sein (siehe 3.4). Insofern betrachten wir wie Fallis (2015: 404–405) auch eine unwahre Desinformation als eine Information. Im Gegensatz zur Lüge, die sich auf verbale Irreführung beschränkt, schließt der Desinformationsbegriff auch visuelle Mitteilungsformen ein (Fallis, 2014: 138). So besitzt das Bild einer auf der Matte sitzenden Katze denselben repräsentationalen Gehalt, beinhaltet also dieselbe Information wie die sprachliche Mitteilung. Damit kann aktuelle Desinformation auch in Form von (manipulierten) Fotografien und Videos oder sogenannten Memes Verbreitung finden, sofern diese einen bestimmten Wirklichkeitsausschnitt darstellen.
Allerdings greifen Theorien zu kurz, die die Desinformation und die Lüge als bloßen Mitteilungs- oder Sprechakt konzipieren (vgl. Dietz, 2002; Müller, 2007). Diese Konzeptionen konzentrieren sich einzig auf die Mitteilungshandlung des Irreführenden und lassen den Verstehensakt aufseiten des Adressaten außer Acht. Eine Lüge bzw. Desinformation ist allerdings erst dann abgeschlossen und Bestandteil der sozialen Realität, wenn ein Adressat den repräsentationalen Gehalt dieser Mitteilung auch als solchen erkannt hat (Falkenberg, 1982: 106). Er vollzieht also nach, dass es sich bei einer Aussage oder einem Bild um das Abbild eines bestimmten Wirklichkeitsausschnitts handeln soll. Das bedeutet allerdings nicht, dass Lüge und Desinformation, um als solche bezeichnet werden zu können, auch erfolgreich sein, also geglaubt werden müssen (Fallis, 2015: 406; Mahon, 2008: 211; Shiffrin 2014: 13). Der Status einer Mitteilung als Desinformation hängt nicht zusätzlich von einem bestimmten Effekt beim Adressaten ab. Falsche Informationen bleiben aus Sicht eines externen Beobachters auch dann falsch, wenn Rezipienten die entsprechende Information nicht glauben.
3.2 Aktualität
Die Spezifik der hier fokussierten Art der Desinformation liegt in ihrem Aktualitätsbezug. Der Begriff der Aktualität ist hier nicht nur im zeitlichen Sinne zu verstehen. Vielmehr umfasst er neben dem Neuigkeitswert (zeitliche Komponente) von Informationen auch deren öffentliche Relevanz (soziale Komponente) (Merten, 1973: 218; Scholl & Weischenberg, 1998: 78). Die spezifische Qualität von Journalismus besteht mit Blick auf Aktualität (insbesondere im Gegensatz zur Öffentlichkeitsarbeit) darin, aktuelle Fremd- statt Selbstdarstellungen anzubieten. Er beobachtet die Gesellschaft und die Interdependenzen ihrer Teilbereiche wie Politik, Wirtschaft oder Recht also (idealiter) von einer externen Warte aus (Kohring & Hug, 1997: 27–28).
Auch aktuelle Desinformation orientiert sich an den genannten Aktualitätskriterien.
Sie behandelt bevorzugt überraschende Themen mit (potenziell) großer Auswirkung auf die Gesellschaft. So ermöglicht sie ihrem Publikum die Ausbildung von (wenn auch empirisch unzutreffenden – siehe Kap. 3.4) Erwartungen und dadurch die Orientierung in einer komplexen Welt. Bei aktueller Desinformation handelt es sich somit um eine Form journalistischer Kommunikation und nicht bloß um deren Nachahmung. Ihr journalistischer Charakter ergibt sich dabei nicht aus Art und Ursprung ihrer Verbreitung. Aktuelle Desinformation kann sowohl im redaktionellen Kontext als auch von einer Einzelperson erstellt werden. Auch das Format der Mitteilung ist nicht entscheidend – auch wenn klassische journalistische Darstellungsformen die Glaubwürdigkeit steigern werden, ist dies keine conditio sine qua non, wie manche Definition vermuten lässt. Ebenso ist die mediale Form der Verbreitung nicht für den Status aktueller Desinformation maßgeblich: Zwar wird aktuelle Desinformation vornehmlich über das Internet und hier besonders soziale Medien verbreitet, genauso wurde und wird sie aber auch offline verbreitet – nicht nur über Printmedien oder Rundfunk, sondern auch in der interpersonalen Kommunikation.
Abzugrenzen ist diese besondere Form von Desinformation zum einen von nicht-aktueller Desinformation. Dazu gehören beispielsweise historische Lügen wie die Leugnung des Holocausts, die keine neue Erkenntnis präsentieren, sondern bekannte Aussagen wiederholen. Zum anderen geht es bei aktueller Desinformation nicht um private Kommunikation. Die mitgeteilte Information bezieht sich also nicht etwa auf den Kommunikator selbst. So gehört die bewusstseinsbezogene Lüge, bei der über die eigenen Vor- oder Einstellungen getäuscht werden soll (Chisholm & Feehan, 1977: 151–152; Mahon, 2008: 220; Thummes, 2013: 34), gemäß unserer Definition nicht zum Gegenstandsbereich der aktuellen Desinformation. Diese bezieht sich als öffentliche Fremdbeobachtung stattdessen immer auf ein Ereignis bzw. einen Sachverhalt in der gesellschaftlichen Umwelt des Urhebers (X desinformiert Y über Z).
3.3 Wahrheitsanspruch
Journalistische Medieninhalte werden erst dann zu sozial verbindlichen Wirklichkeitsbeschreibungen, wenn sie sich nicht nur an Neuigkeitswert und Relevanz, sondern auch an Faktizität ausrichten (Scholl & Weischenberg, 1998: 78). Auch die aktuelle Desinformation beansprucht implizit oder explizit die Wahrheit bzw. Gültigkeit ihrer Informationen. Erst diese (vorgetäuschte) Orientierung an Faktizität begründet ihren Status als (desinformierende) Nachricht.
Wie die Lüge setzt die Desinformation also eine Situation voraus, in welcher der Sprecher die Wahrheit seiner Aussage gewährleistet (Carson, 2010: 30; Saul, 2012: 3). Andere Autoren implizieren im Grunde dasselbe, indem sie die Lüge als Behauptung klassifizieren (Fallis, 2009b: 33; Sorensen, 2007: 256). Wesentlich für eine Behauptung bzw. Feststellung ist nämlich die Versicherung, dass der Aussageinhalt eine wirkliche Sachlage darstellt, also der Geltungsanspruch der Wahrheit (Habermas, 1973: 212; Searle, 1988: 100). Die Maxime „Sage nichts, wovon Du glaubst, dass es falsch ist“, ist hier als Kommunikationsnorm in Kraft (Fallis, 2009b: 33).
Die vorgestellten Konzepte verorten den Wahrheitsanspruch allerdings ausschließlich aufseiten des Irreführenden: Ob die erwähnte Kommunikationsnorm in einer bestimmten Situation gilt, wird so nur durch die Intention bzw. den Glauben des Sprechers bestimmt (Mahon, 2008: 227). Mit Blick auf den zuvor eingeführten Kommunikationsbegriff beziehen wir aber auch den Adressaten bei der Konstatierung eines Wahrheitsanspruchs mit ein. Der Kommunikator kann zwar durch bestimmte Signale sprachlicher wie nicht-sprachlicher Art ein bestimmtes Verständnis nahelegen, das Publikum aber definiert die soziale Situation und die darin geltenden Normen mindestens gleichberechtigt mit. Letztlich wird der Wahrheitsanspruch also kommunikativ ausgehandelt. Diese Erkenntnisse können auch auf die (aktuelle) Desinformation übertragen werden. Laut Fallis (2009a, § 4.5) muss es (für einen externen Beobachter) plausibel sein, dass der Adressat einer mitgeteilten Desinformation einen falschen Schluss über den entsprechenden Sachverhalt aus ihr ziehen könnte. Notwendige Voraussetzung dafür ist ein Kontext, in dem ein Wahrheitsanspruch gilt.
Dadurch lässt sich die aktuelle Desinformation von meinungsäußernden journalistischen Darstellungsformen wie dem Leitartikel oder dem Kommentar abgrenzen. Stark tendenziöse und ideologisch gefärbte Berichterstattung (wie z. B. von RT Deutsch) gehört demnach nicht zwangsläufig zum Spektrum der Desinformation, solange hier lediglich Meinungen geäußert werden (z. B. „Dreizehn Jahre Merkel sind mehr als genug.“). Meinungen gehören nämlich nicht zur Klasse der Behauptungen und sind insofern auch nicht wahrheitsfähig. Auch bei der Nachrichtensatire handelt es sich zwar um aktuelle Kommunikation mit repräsentationalem Gehalt, jedoch nicht um Desinformation. Die einschlägige Quelle (z. B. „Der Postillon“), bestimmte Stil- und Textmerkmale sowie Kontextinformationen kennzeichnen den (frei erfundenen) Inhalt als humoristische Kunstform und setzen den Wahrheitsanspruch als Kommunikationsnorm in der Rezeptionssituation außer Kraft.4
3.4 Unwahrheit
Im Gegensatz zu „wahren“ Nachrichten löst aktuelle Desinformation den zuvor beschriebenen Wahrheitsanspruch nicht ein. Sie birgt per definitionem die Gefahr, falsche Vorstellungen zu einem bestimmten Sachverhalt aufseiten des Adressaten hervorzurufen (Fallis, 2015: 406). Dieses irreführende Potential besitzen nur tatsächlich unzutreffende Behauptungen. Die (aktuelle) Desinformation ist also zwingend empirisch falsch (Hernon, 1995: 134; Fallis, 2009a, § 4.2; Floridi, 2011: 260).5 Hierin besteht der grundlegende Unterschied zur Lüge: Es ist auch möglich zu lügen, ohne dabei die Unwahrheit zu sagen (z. B. Bok, 1980: 22–31; Falkenberg, 1982: 54).6 Während die empirische Falschheit also keine notwendige Bedingung der Lüge darstellt (Müller, 2007: 29), ist dies bei der Desinformation der Fall. Insofern sind die beiden Begriffe auch nicht gleichzusetzen, wie es etwa Fetzer (2004: 231) insinuiert.
Das Wahrheitsurteil bezieht sich dabei wie gesagt nicht auf die Mitteilung selbst (Satz, Bild, Video etc.), sondern immer auf deren Bedeutungsinhalt (Fallis, 2009a, § 4.6; Floridi, 2011: 260; vgl. auch Habermas, 1973: 211–212). Es ist somit auch möglich, mittels sogenannter falscher Implikaturen zu desinformieren (Fallis, 2014: 138). In diesem Fall im pliziert die Mitteilung (z. B. aufgrund des Kontexts) eine Bedeutung, die nur angedeutet, jedoch nicht direkt gesagt bzw. gezeigt wird. Wenn Y beispielsweise auf die Frage: „Wo ist X?“, antwortet: „Er ist oft in der Bar um die Ecke“, impliziert er, dass sich X jetzt gerade in der besagten Bar befindet. Ist dies zu diesem Zeitpunkt nicht der Fall, ist die (implizite) Information empirisch falsch, auch wenn X sonst tatsächlich viel Zeit in der Bar verbringt (Adler, 1997: 437–438). Eine falsche Implikatur ist natürlich auch durch ein nicht richtig kontextualisiertes Bild denkbar. Da der Adressat durch solche „Halbwahrheiten“ auch, vielleicht sogar besonders geschickt in die Irre geführt werden kann, sollten auch sie der Desinformation zugerechnet werden. Ähnliches hat auch Fallis (2009a) im Sinn, wenn er betont: „While disinformation will typically be inaccurate, it does not have to be inaccurate. It just has to be misleading“ (§ 5). Die Irreführung besteht aber nur in der Art und Weise der Desinformation durch die Implikatur (Mitteilung ≠ Information). Die Information selbst, also der eigentliche Bedeutungsinhalt, bleibt auch in diesem Spezialfall der sogenannten „true disinformation“ (Fallis, 2015: 409) unwahr. Die aktuelle Desinformation stellt eine Form der Falschmeldung dar. Diese ist für ihr Publikum potenziell irreführend, da die berichteten Informationen nicht einer überprüfbaren sozialen Realität entsprechen. Anhand des Wahrheitskriteriums unterscheidet sich aktuelle Desinformation vom Gerücht, das (noch) unentschieden gegenüber der Unterscheidung wahr/falsch ist. Das Gerücht zeichnet sich insbesondere durch das Fehlen eines verbrieften Wahrheitsgehalts und mithin durch seine Unverbürgtheit aus. Die Geltung der mitgeteilten Informationen liegt hier allein im Bereich des Vorstellbaren (vgl. Fleck, 2014; Kirchmann, 2004). Erst „nach erfolgter Wahrheitsüberprüfung löst sich das Gerücht als solches auf, und sein Inhalt wird je nach Befund in den Geltungsbereich
… der Fehlinformation oder aber in den der nunmehr verifizierten Information ... überwiesen“ (Kirchmann, 2004: 74).
3.5 Unwahrhaftigkeit
Die notwendige Bedingung der Unwahrheit reicht allerdings nicht aus, um den Begriff der aktuellen Desinformation trennscharf zu erfassen. Die Unwahrhaftigkeit kommt als entscheidendes Definitionskriterium hinzu. So konstatiert Falkenberg (1982) bezüglich der Lüge: „Das Gegenteil der Lüge ist nicht die Wahrheit – wie die klassische Theorie annimmt, wenn sie die Falschheit zum Konstituens der Lüge erklärt ... –, sondern die Wahrhaftigkeit“ (S. 55). Eine Lüge setzt also eine unwahrhaftige bzw. unaufrichtige Aussage voraus; der Sprecher glaubt selbst nicht an deren Gültigkeit (z. B. Chisholm & Feehan, 1977: 152; Fallis, 2009b: 38; Mahon, 2015, § 1.2; Müller 2007: 29–30; Thummes, 2013: 32–33). Die Behauptung des Kommunikators und sein subjektives Fürwahrhalten stehen in Konflikt miteinander (Dietz, 2002: 111).
Auch bei der Desinformation muss der Kommunikator davon überzeugt sein, dass die Information, die er mitteilt, nicht der Wahrheit entspricht (Fallis, 2009a, § 4.7; Floridi, 2005, § 3.2.3). Das Desinformieren ist eine bewusste, unaufrichtige Handlung.7 Diese Eigenschaft „distinguishes disinformation from more innocuous forms of misleading information, such as honest mistakes” (Fallis, 2015: 406). Die Unwahrhaftigkeit markiert also die Trennlinie zwischen unwissentlicher Fehlinformation („misinformation“) und vorsätzlicher Desinformation („disinformation“) (Hernon, 1995: 134).
Die aktuelle Desinformation unterscheidet sich damit grundlegend von redaktionellen Fehlern, die unbewusst z. B. aufgrund von Geldmangel oder Zeitdruck entstehen. Auch wenn beide Arten Falschmeldungen und damit als potenziell irreführend einzustufen sind, unterscheiden sie sich hinsichtlich der Qualität der Falschinformation und deren moralischer Bewertung. Den Kommunikatoren (journalistischer) Irrtümer ist in der Regel daran gelegen, diese zu vermeiden bzw. nach einer Entdeckung umgehend zu korrigieren. Aktuelle Desinformation wird demgegenüber im Bewusstsein ihrer Falschheit in Umlauf gebracht. Die (mögliche) Irreführung der Rezipienten erfolgt somit nicht unbewusst, sondern wissentlich. Während man Produzenten fehlerhafter Nachrichten höchstens Fahrlässigkeit vorwerfen könnte (Stichwort: „poor journalism“), handeln die Urheber von aktueller Desinformation vorsätzlich.
Dabei wird keineswegs vorausgesetzt, dass aktuelle Desinformation direkt von einem unwahrhaftigen Kommunikator bezogen wird. „In order for something to count as disinformation, it clearly does not have to be the immediate source of the information who believes that the information is misleading” (Fallis, 2009a, § 5). Wissentlich in die Welt gesetzte Falschmeldungen können also auch von Intermediären (Journalisten, Freunden etc.) weiterverbreitet werden, die irrtümlicherweise von der Wahrheit dieser Informationen ausgehen. Obwohl diese Intermediäre also lediglich unbewusst fehlinformieren, verlieren die Meldungen ihren Status als Desinformation damit trotzdem nicht.
3.6 Täuschungsabsicht
Zuletzt soll erörtert werden, ob aktuelle Desinformation notwendigerweise darauf abzielt, falsche Vorstellungen aufseiten des Rezipienten hervorzurufen, also mit einer Täuschungsabsicht verknüpft sind; oder fallen unter den Begriff auch wissentliche Falschmeldungen, denen andere Motive zugrunde liegen? Einige Autoren, die sich mit dem Gegenstand der Lüge befassen, beharren darauf, dass die Absicht zu täuschen eine unerlässliche Definitionsbedingung darstellt (z. B. Bok, 1980: 31; Ekman, 1989: 13; Mahon, 2008: 227–228; Müller, 2007: 31). Andere stellen dies mit dem Verweis auf offensichtliche (alle Beteiligten wissen um die Falschheit der Information) und erzwungene Lügen (Kommunikator wird von Dritten zur Täuschung genötigt) infrage (z. B. Carson, 2010: 20; Fallis, 2009b: 41–43; Sorensen, 2007).
Auch im Kontext der Desinformation wird häufig auf eine Täuschungsabsicht seitens des Kommunikators verwiesen (Fetzer, 2004: 231; Floridi, 2011: 260; Hernon, 1995: 134). Wir vertreten jedoch die Auffassung, dass diese Bedingung den Geltungsbereich der Desinformation zu stark einschränkt. Beispielsweise werden Falschinformationen zum Teil nur deshalb in Wikipedia-Artikel eingebaut, um zu testen, ob und wie schnell diese von den Verantwortlichen korrigiert werden. Die Irreführung des Lesers wird hier nicht unbedingt beabsichtigt, sondern kann eine mögliche Begleiterscheinung der gestreuten Falschinformation sein. Dennoch sind diese „side effect disinformation“ genau wie die vorsätzlich täuschende Desinformation intentionale Irreführungen, da die unwahren Informationen wissentlich zu einem bestimmten Zweck verbreitet werden (Fallis, 2014: 138–139). Eine mögliche Irreführung des Publikums geschieht damit nicht zu fällig, sondern wird bewusst in Kauf genommen.
Unsere Begriffsbestimmung umfasst also einerseits die propagandistische Desinformation, also intentional täuschende Falschmeldungen, deren Urheber dezidiert politische Ziele verfolgen (Jowett & O’Donnell, 2012: 24). Diese hegen die Absicht, die Vorstellungen der Rezipienten mittels unwahrer Behauptungen zu manipulieren, um deren Meinungen, Einstellungen und Handeln in eine bestimmte Richtung zu lenken. Andererseits gibt es aber auch wissentliche Falschmeldungen, die keine genuine Täuschungsabsicht verfolgen. Zum einen ist hier die Clickbait-Desinformation zu nennen, die sich falscher Informationen bedient, um Werbeeinnahmen im Internet zu generieren. Die reißerischen und teils absurden Überschriften solcher Artikel oder Videos sollen vor allem die Neugier der Rezipienten wecken und deren Aufmerksamkeit binden. Ob diese Falschmeldungen letztlich geglaubt werden oder nicht, ist für die Produzenten allerdings unerheblich. Ihr Zweck liegt lediglich in der Generierung höherer Klickzahlen zur ökonomischen Gewinnmaximierung. Schließlich kann aktuelle Desinformation auch, wie schon am Beispiel der Wikipedia-Artikel illustriert, eine aufklärerische Funktion übernehmen: Nutzer und Journalisten sollen für das Risiko gezielter Falschmeldungen im Netz sensibilisiert und zu einer gründlicheren Prüfung von Informationen bewegt wer den.8
4. Fazit
Im vorliegenden Beitrag haben wir den Begriff „Fake News“ nach eingehender Erörterung durch den der aktuellen Desinformation ersetzt. Der Vorteil dieser Begriffsbestimmung besteht darin, dass sie systematisch aus Theorien der Lüge und Desinformation sowie der (öffentlichen) Kommunikation deduziert wurde. Sie lässt sich, wie es eine umfassende Konzeptexplikation erfordert, auch als operationale Definition verwenden (Chaffee, 1991), d. h. sie benennt mit Kommunikation, Aktualität, Wahrheitsanspruch, Unwahrheit und Unwahrhaftigkeit explizit die Merkmale, mit deren Hilfe das Konstrukt empirisch identifiziert und von verwandten Phänomenen abgegrenzt werden kann. Da es sich hierbei nicht um bloße Setzungen handelt, lässt sich die Definition zugleich wissenschaftlich kritisieren, sowohl was die gewählten Kriterien selbst angeht als auch unsere Entscheidung, bestimmte Ausprägungen dieser Kriterien für notwendige Bedingungen von aktueller Desinformation zu halten.
Wenn wir unsere Begriffsbestimmung auf die Fragen beziehen, die sich aus der Heterogenität der bisherigen Definitionsversuche ergeben haben (Kap. 2), so können wir nun folgende Schlüsse ziehen:
1. Der Nachrichtencharakter von aktueller Desinformation ergibt sich durch ihren spezifischen Sinn (Aktualität und Wahrheitsanspruch) und ist nicht an ein bestimmtes (Verbreitungs-)Medium gebunden.9 Zwar mag sie zurzeit vorrangig im Internet und insbesondere in sozialen Medien in Erscheinung treten; dabei handelt es sich allerdings bloß um eine empirisch kontingente Feststellung und nicht um ein grundlegendes Charakteristikum (und auch keinen Wirkungsnachweis). Auch in traditionellen Medien fanden und finden sich wissentliche Falschmeldungen; zudem wird aktuelle Desinformation auch in der interpersonalen Kommunikation verbreitet, möglicherweise sogar erzeugt. Aktuelle Desinformation ist in der Tat kein qualitativ neuartiges Phänomen des digitalen Zeitalters. Andere Formen öffentlicher Kommunikation dürfen daher nicht aus dem Auge verloren werden. Nichtsdestotrotz scheinen die digitalen Kommunikationsinfrastrukturen großangelegte Desinformationskampagnen zu begünstigen und verdienen deshalb besondere Aufmerksamkeit.
2. Die in aktueller Desinformation mitgeteilte Information ist empirisch immer falsch.
Da sich das Wahrheitsurteil auf den repräsentationalen Gehalt der Mitteilung bezieht, der entweder zutreffend oder nicht zutreffend sein kann, ist Faktizität nach unserer Auffassung nicht als Kontinuum zu betrachten. Eine Unterscheidung zwischen gänzlich falscher und lediglich irreführender Desinformation ist definitorisch mithin nicht sinnvoll. Natürlich kann empirisch zwischen verschiedenen Techniken der Irreführung unterschieden werden. So können auch „Halbwahrheiten“ unter den Begriff subsumiert werden. Sie bedienen sich des Unterschieds zwischen Mitteilung und Information auf besonders perfide Art und Weise. Doch auch bei solchen falschen Implikaturen ist der eigentliche Bedeutungsinhalt der Mitteilung unwahr.
3. Aktuelle Desinformation ist nicht notwendig mit einer Täuschungsabsicht verknüpft. Wie unsere Ausführungen gezeigt haben, gibt es sowohl täuschende als auch nicht-täuschende Varianten. Das Kriterium ist zwar keine notwendige Bedingung, eignet sich aber durchaus, um unterschiedliche empirische Ausformungen zu systematisieren. Hier nicht bloß auf politische und wirtschaftliche Motive abzustellen, weitet den Blick auch zugunsten untypischer und möglicherweise unterschätzter Arten.
4. Die Bestimmung einer Mitteilung als aktuelle Desinformation setzt nicht unbedingt eine erfolgte Irreführung der Rezipienten voraus. Wir verstehen Desinformieren nicht als Erfolgsbegriff bzw. „success term“, sondern als Irreführungsversuch im Sinne des Vollzugs einer Kommunikation zwischen mindestens zwei Akteuren. Dabei geht es allein um das Erkennen einer aktuellen Information als mit Wahrheitsanspruch versehen (und nicht z. B. als Nachrichtensatire) durch den Adressaten. Auf die Annahme oder Ablehnung der mitgeteilten Information als wahr kommt es – zumindest was die Definition angeht – jedoch nicht an. Dies macht nicht zuletzt für die empirische Operationalisierung Sinn: Würde das Glauben der Falschinformation zum notwendigen Definitionskriterium geraten, könnte eine als falsch durchschaute Nachricht empirisch auch nicht als aktuelle Desinformation gewertet werden.
Das in diesem Beitrag vorgeschlagene Begriffsverständnis erweitert auch den Blick auf die potenziellen Implikationen des Phänomens für individuelle und kollektive Selbstbestimmung. So wird deutlich, dass die Auswirkungen aktueller Desinformation keinesfalls ausschließlich schädlich sein müssen, wie gemeinhin unterstellt. Beispielsweise zielt die aufklärerische Desinformation gerade nicht auf Täuschung ab, sondern vielmehr auf die Emanzipation der Rezipienten. So könnte die Lancierung aktueller Desinformation im Netz (mit nachträglicher „Auflösung“) sogar die Medienkritikfähigkeit der (Social-Media-)Nutzer steigern. Außerdem nimmt die Konzeption von Desinformation als Versuchs- statt als Erfolgsbegriff auch mögliche indirekte Wirkungen misslungener Irreführung in den Blick. Die (wiederholte) Aufdeckung falscher Tatsachenbehauptungen in digitalen bzw. sozialen Medien kann das Wissen um deren intentionale Verbreitung wachhalten, die Vertrauenswürdigkeit traditioneller Nachrichtenmedien stärken und so der Fragmentierung öffentlicher Kommunikation vorbeugen.
Die Engführung auf wissentliche Falschmeldungen und deren Korrektur greift aus demokratietheoretischer Sicht allerdings zu kurz, um die gesamte Bedeutung für die Selbstbestimmung demokratischer Gesellschaften zu eruieren. Vielmehr sollte man das Phänomen aktueller Desinformation als Symptom eines strukturellen Problems betrachten – nämlich als Ausdruck einer weitreichenden Desinformationsordnung, die als Alternative zum etablierten Informationssystem entsteht (Bennett & Livingston, 2018). Ihren Ursprung hat die Formierung einer solchen Gegenöffentlichkeit im Misstrauen eines Teils der Bevölkerung gegenüber den klassischen demokratischen Institutionen, namentlich „der“ Politik und „den“ Medien. Aus Sicht dieser hoch skeptischen Publika wird eine legitime, umfassend informierte Meinungs- und Willensbildung gerade durch diese etablierten Institutionen verhindert. Die Produzenten aktueller Desinformation wiederum suchen diese institutionelle Krise für sich zu instrumentalisieren. Die Forschung sollte Verbreitung und Erfolg aktueller Desinformation im Netz daher nicht bloß als Ursache, sondern auch als Folge eines (wahrgenommenen) Mangels an kollektiver Selbstbestimmung in Betracht ziehen.
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Im Folgenden wird bei Berufs-, Gruppen- und Personenbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. Dieses schließt weibliche Referenten gleichberechtigt mit ein.
Vgl. aber Ekman (1989), der die Geheimhaltung explizit als Form der Lüge definiert.
Der aus der Linguistik bekannte Begriff des „propositionalen Gehalts“ wird hier bewusst nicht verwendet, da er für Aussagesätze, d. h. sprachliche Mitteilungen, reserviert ist (vgl. Fallis, 2009a, § 4.4).
Diese Abgrenzung wird aus Sicht eines externen Beobachters getätigt. Natürlich besteht dennoch die Möglichkeit, dass einzelne Rezipienten, z. B. aufgrund mangelnder Erfahrung, geringer Medienkompetenz o. Ä. auch satirischer Berichterstattung einen Wahrheitsanspruch zuschreiben.
Referenzpunkt ist hier natürlich nicht die „Wahrheit“ im ontologischen, sondern im Sinne einer sozial akzeptierten Konstruktion von Wirklichkeit, wie sie beispielsweise die Wissenschaft liefert.
Ein eindrucksvolles Beispiel für eine solche Art der „wahren Lüge“ findet sich in Sartres Kurzgeschichte „Die Mauer“. Hier verrät ein politischer Gefangener seinen Bewachern, obwohl er sie anlügt, versehentlich das tatsächliche Versteck seines Kameraden (vgl. Fallis, 2009b: 39; Mahon, 2008: 219).
Spätestens hier wird deutlich, dass der Begriff der „Verschwörungstheorie“ quer zu dem hier präsentierten Schema liegt. Zum einen können Verschwörungstheorien sowohl wahre als auch unwahre Behauptungen umfassen oder gar so abstrakt sein, dass sie im Modus des Spekulativen verbleiben (Kuhn, 2010: 107). Zum anderen werden Verschwörungstheorien häufig vom Urhe- ber selbst aufrichtig geglaubt und sind daher nicht zwingend unwahrhaftig (Fallis, 2015: 411). Konstitutiv ist lediglich ihre inhaltliche Grundüberzeugung, „(wichtige) Ereignisse als Folge ... geheimer Absprachen und Aktionen zu erklären“ (Hepfer, 2015: 24). Verschwörungstheorien bzw. einzelne Elemente davon können zwar unter Umständen in den Bereich aktueller Desin- formation fallen, die Begriffe sind allerdings keinesfalls gleichzusetzen.
Als Beispiel kann hier Tommaso Debenedetti angeführt werden, der Falschmeldungen auf Twitter verbreitet, um Journalisten auf ihre Verantwortung aufmerksam zu machen und vor den Risiken ihres Berufs zu warnen (Kitzler, 2018).
Um den Nachrichtencharakter dieser Desinformationsform besonders hervorzuheben, könnte auch der Ausdruck desinformierende Nachrichten („disnews“) verwendet werden.